Müll im Meer: Mit einer App gegen die Plastikflut (2024)

Stand: 06.06.2024 05:00 Uhr

Bis zu zehn Prozent der Plastikproduktion landet am Ende im Meer - darunter viel Verpackungsmüll. Die Folgen sind auch an Nord- und Ostsee verheerend. Die Meeresschützerin Jennifer Timrott kämpft deshalb für mehr Mehrweg - mit der App "Replace Einweg".

von Marian Schäfer

Die Meeresschützerin Jennifer Timrott lebt unter anderem auf Hallig Hooge und setzt sich seit vielen Jahren gegen Plastik ein. Vor allem im Verpackungsbereich ruft sie dazu auf, schonender vorzugehen. Timrotts Verein "Küste gegen Plastik" hat gerade sein zehnjähriges Jubiläum gefeiert.

Was hat sich in den Jahren verändert?

Meeresschützerin Jennifer Timrott ist überzeugt: "Wir müssen von dem Einweggedanken grundsätzlich wegkommen."

Jennifer Timrott: Ich denke, dass das Bewusstsein für das Thema insgesamt größer geworden ist und sich in manchen Bereichen wie zum Beispiel der Körperpflege auch einiges in Sachen Plastikvermeidung getan hat. Vor zehn Jahren gab es vielleicht eine in Papier verpackte Festseife im Supermarkt, die für jeden Haar- und Hauttyp war. Da haben Sie heute oftmals eine große Auswahl.

Reicht das denn?

Timrott: Nein, insgesamt nimmt die Plastikmenge ja leider auch zu. Aber ich bin froh über jeden kleinen Schritt. Wenn ich am Meer bin und das ganze Plastik sehe, das in der Natur liegt und wir in Tieren finden, dann wünschte ich mir natürlich, dass alles schneller ginge. Gerade im Lebensmittelbereich hätte ich gerne deutlich mehr Mehrwegverpackungen aus Glas.

Sie haben mit ihrem Verein kürzlich die "Replace Einweg"- App fürs Smartphone veröffentlicht. Mit der können Kunden Produkte in Einwegverpackungen scannen und sich beim Händler eine Mehrweg-Alternative wünschen. Vor sechs Jahren hatten Sie bereits die "Replace plastic"-App entwickelt, die ganz ähnlich funktioniert. Wozu die neue App?

Timrott: Die "Replace plastic"-App haben wir damals deshalb entwickelt, weil Hersteller und Händler oft den Kundenwunsch vorgeschoben haben. Wenn wir als Verein anfangs auf Hersteller und Händler zugegangen sind, um ihnen alternative Verpackungsformen vorzuschlagen, hörten wir oft: Ist ja ganz nett, aber der Kunde will es so. Das glaubten wir nicht und wollten zeigen, dass es viele gibt, die sich das anders wünschen. Und ich denke, dass man das an den mehr als zwei Millionen Scans auch sieht.

Aber?

Timrott: Wir haben auch festgestellt, dass Hersteller und Händler erst einmal den einfachen Weg gehen. Das heißt, dass Einwegverpackungen gegen andere Einwegverpackungen getauscht und Plastik zum Beispiel gegen Pappe oder recyceltes Plastik ersetzt wird. Beides ist keine Lösung. Wir müssen von dem Einweggedanken grundsätzlich wegkommen. Deshalb soll es jetzt dezidiert um Mehrweg gehen.

Könnte der Einzelne seinem Wunsch nicht auch dadurch Ausdruck verleihen, dass er einfach Produkte in Mehrwegverpackungen kauft?

Timrott: Natürlich sollte jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten die richtigen Entscheidungen treffen und im besten Falle eine Nachfrage erzeugen, die Unternehmen dazu bewegt, das Richtige zu tun. Aber ich tue mich schwer damit zu sagen: Geht alle her und kauft in vernünftigen Läden vernünftige Produkte. Die Menschen haben unterschiedliche zeitliche und auch finanzielle Budgets. Nicht jeder kann zig Kilometer zum nächsten Unverpackt-Laden fahren und nicht jeder sich die Produkte dort leisten. Die Läden befinden sich in der Nische mit oft entsprechenden Preisen. Gerade hier kann unsere App aber auch helfen, indem man sagen kann: Ich kaufe das zwar, aber ich stimme der Verpackungsform eigentlich nicht zu!

Das heißt: Was der Einzelne selber tun kann ist beschränkt?

Timrott: Ich glaube einfach, dass wir es mit einem systemischen Problem zu tun haben. Und für ein systemisches Problem braucht es eine systemische Lösung und keine individuelle. Natürlich kann ich nicht sagen: Die Welt soll sich ändern, aber ich tue nichts. Aber wenn große Unternehmen Entscheidungen treffen, hat das viel mehr Gewicht. Und deswegen ist es so wichtig, diese Akteure unter Druck zu setzen.

Und das soll mit der App gelingen?

Timrott: Das hoffe ich. Ich wünsche mir, dass wir einen Wandel anstoßen und Supermarktketten und Hersteller Lösungen finden. Meiner Meinung nach hieße das vor allem, die bestehenden Mehrwegsysteme auszubauen und mehr auf Pool-Lösungen, also einheitliche Flaschen und Gläser, zu setzen. Bei vielen Herstellern gibt es zwar zum Beispiel Glasmehrwegflaschen, die aber speziell "gebranded" und deshalb ökologisch auch wenig sinnvoll sind.

Welche Rolle spielt für Sie die Politik?

Timrott: Eine große. Sie schafft die Rahmenbedingungen und es wäre wünschenswert, wenn es von ihr einen starken Impuls für Plastikvermeidung, also eine Reduktion der gesamten Plastikproduktion - und für Mehrweg gäbe.

Können Sie nachvollziehen, dass manche Menschen Mehrweg unpraktisch finden?

Timrott: Ich kann nachvollziehen, dass man in manchen Situation so empfindet: Oh nee, jetzt nicht noch das Geschleppe! Aber deshalb ist es so wichtig, das Ganze systemisch zu denken. Es ist doch nicht in Stein gemeißelt, dass wir unsere Mehrwegbehältnisse zurück in den Laden schleppen müssen. Sie könnten doch auch Zuhause abgeholt werden - von einer "Mehrwegabfuhr" zum Beispiel, die dafür sorgt, dass das Glas wieder im Supermarkt landet. So wäre das überhaupt keine Belastung für den Einzelnen. Ich sehe große Potenziale, wenn wir die Perspektive einfach mal weiten würden.

Bis wann, denken Sie, könnte es so weit sein?

Timrott: Manchmal können Veränderungen ja ganz schnell gehen - nehmen Sie nur die Normalisierung von Videocalls durch Corona. So ein Szenario möchte man sich natürlich nicht ausmalen. Vielleicht stellen wir ja auch einfach fest, dass Plastik für uns gar nicht gut ist?

Das Interview führte Marian Schäfer, NDR Schleswig-Holstein.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin |06.06.2024 | 19:30 Uhr

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